Mit „Orpheus in der Unterwelt“ gelang dem Begründer der modernen Operette Jacques (Jakob) Offenbach 1858 in Paris ein sensationeller internationaler Durchbruch. Den Stoff dazu lieferte der europäische Künstler-Mythos schlechthin: die Geschichte des um seine Eurydike trauernden Orpheus, der aus Liebe mittels seines Gesangs sogar den Tod umstimmen konnte.
Offenbach hielt jedoch mit seiner tiefgründig kecken Mythen-Persiflage den selbsternannten Eliten in der Second Empire-Diktatur Napoléons III. so spöttisch den Spiegel vor, dass selbst Émile Zola das „Feuer der Respektlosigkeit“ aufflammen sah! Damals wie heute hoch aktuell, wird eine triebgesteuerte Welt sichtbar, voll von gelangweilten, sich betrügenden und nach Macht und Vergnügen lechzenden Menschen und Göttern, und die von allen gefürchtete „Öffentliche Meinung“ in Person.
Das Ensemble der Pocket-Produktion „Orpheus‘ Unterwelt“ betritt in bestgelaunter Freie Szene-Manier ein Universum in Schieflage, steigt hinauf und hinab in göttlich menschliche Höllenabgründe und legt auf der szenischen Sezier-Couch Tiefenschichten einer Welt frei, die am Kipp-Punkt steht. Zwischen den doppelbödigen Bühnenzeichnungen von Klaus Harth und am melodietrunkenen Klavier von Thomas Layes befeuert, entfachen die glutvolle Elizabeth Wiles als Eurydike sowie Lisa Ströckens und Ralf Peter (in fast allen anderen Rollen) ein wild sprühendes Feuerwerk musikalisch-szenischer Tollheiten.
Mit Offenbachs „Opéra bouffe“ setzen sie den kaum noch zu ertragenden aktuellen Weltläuften mittels ihrer Kunst das vielleicht einzig probate Heilmittel entgegen: eine heiter-ernste, wache Kultur – an die so mancher die Axt anlegen möchte.